Rundgang durch das Lager Bandō
26. Lagerbücherei, Lesehalle
| Entstehung und Organisation
| Bestand und Ausleihe
| Leseraum
Foto aus Besitz des Deutschen Hauses Naruto
Der Artikel „Zum einjährigen Bestehen der Bücherei“ in der „Baracke“ gibt einen guten Einblick in Entstehung und Angebot der Lagerbücherei (1). Bereits in den Lagern Matsuyama, Marugame und Tokushima hatten sich kleine Lagerbüchereien herausgebildet. Der Bücherbestand stammte überwiegend aus dem Privatbesitz der Gefangenen. Einige hatten Bücher direkt mit in die Gefangenschaft genommen, darunter auch unerlaubterweise Exemplare aus dem Besitz der Kiautschou-Bücherei, die sie gerade ausgeliehen hatten. Andere Gefangene hatten sich Bücher nachschicken lassen. Dazu kamen Stiftungen von Bibliotheken in Deutschland und von den deutschen Clubs in Ostasien. Als die drei Lager nach Bando verlegt wurden, gewährten die japanischen Behörden großzügig Freigepäck für den Transport der Gefangenen-Büchereien. In Bandō wurden die Buchbestände der drei ehemaligen Lager zu einer gemeinsamen Bibliothek zusammengeführt. Dubletten wurden ausgesondert und ein neues Bücherverzeichnis erstellt, welches von der Lagerdruckerei gedruckt wurde. Am 20. Mai 1917 nahm die Lagerbücherei ihren Betrieb auf. Zunächst wurden die Ausleihzeiten auf morgens von 7-8 Uhr festgelegt (2), später wurden sie auf mittags von 12-13 Uhr verlegt (3). In größeren Abständen wurden Nachträge zum Bücherverzeichnis erstellt und Bestandsrevisionen durchgeführt. Die Lagerbücherei hatte mit säumigen Entleihern zu kämpfen, wie die zahlreichen Rückgabeerinnerungen im T.T.B. zeigen. Im Juni 1919 sah sich die Bücherei sogar gezwungen, vorübergehend zu schließen, bis der Verbleib einer Reihe von fehlenden Büchern geklärt war (4). Neben ihrer eigentlichen Aufgabe war die Bücherei außerdem Verkaufsstelle für Theaterkarten und beteiligte sich im Herbst 1919 an einer Stiftung von Büchern aus dem Besitz der Kriegsgefangenen für die deutschen Gemeinden in Ostasien (5). Dabei konnten die Gefangenen Bücher, die sie nicht mehr mit in die Heimat nehmen wollten, bei der Bücherei abgeben, die den Weiterversand organisierte.
Die Bücherei erfreute sich großer Beliebtheit. Im April 1918 wurden z.B. durchschnittlich 160 Bücher am Tag ausgeliehen. Die Verteilung sah dabei folgendermaßen aus (6):
Fachgebiet |
Anteil an der durchschnittlichen täglichen Ausleihe |
Unterhaltungsliteratur |
75% |
Wissenschaften |
10% |
Englische Literatur |
5% |
Kriegsliteratur |
4% |
Französische Literatur |
2,5% |
Zeitungen |
2,5% |
Klassiker |
1% |
Bei ihrem einjährigen Bestehen verfügte die Bücherei über folgenden Bestand (7):
Unterhaltungsliteratur |
3200 Bände |
Klassiker |
170 |
Kriegsliteratur |
200 |
Wissenschaften: |
|
Rechtswissenschaften |
20 |
Erdkunde |
50 |
Naturwissenschaften |
125 |
Religion und Philosophie |
120 |
Geschichte und Politik |
105 |
Lehrbücher |
170 |
Verschiedenes |
100 |
Fremde Sprachen: |
|
Französisch |
210 |
Englisch |
630 |
Spanisch, Italienisch, Latein |
10 |
Zeitschriften: |
|
Deutsche |
160 |
Fremdsprachliche |
150 |
|
5420 Bände |
Das Leseinteresse in Bandō war nicht gering, wie folgende Zeichnung zeigt. Sie ist betitelt mit „Universität-Bando“ und zahlreiche Männer sind lesend oder mit Büchern unter dem Arm abgebildet.
"Universität Bando". Muttelsee, Willy. Karl Bähr. 4 1/2 Jahre hinter’m Stacheldraht. Skizzen-Sammlung. Bando: Kriegsgefangenenlager, [1919], o.S., im Besitz des Deutschen Hauses Naruto
Nach Meinung eines Schreibers in der „Baracke" jedoch nutzten noch zu wenig Gefangene das Bildungsangebot der Bücherei. Er schreibt: „Bald nach Tisch kommen und gehen draußen Leute mit Büchern unterm Arm vorüber Aha: die Bücherei ist geöffnet. Nachdem jeder für des Leibes Notdurft gesorgt, soll, oder kann er doch wenigstens sich auch etwas geistige Nahrung beschaffen. Viele tun es, das sehe ich täglich. Aber wie viele lassen es? Wieviel gute Bücher – und an denen ist hier kein Mangel! – hat jeder von uns in drei Jahren Kriegsgefangenschaft wohl gelesen? – Hm!?" (8)
Die Baracke, Bd. 1, No.23, 3. März 1918, S. 5=497
Zusätzlich zur Bücherei gab es ab November 1917 noch einen Leseraum im Unterrichtshaus neben der Druckerei, der abends von 8-22 Uhr geöffnet war. Hier lagen Zeitschriften und Zeitungen zur allgemeinen Benutzung aus (9). Auch hier kam die Bücherei nicht umhin zu tadeln, da Hefte unerlaubt aus dem Raum entfernt bzw. ausgetauscht wurden (10).
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