Rundgang durch das Lager Bandō
39. Pachtgebiet
| Zugang zum Pachtgebiet
| Rundgang durch das Pachtgebiet
| Sportplätze
| Ackerland
| Viehzucht
| Bienenzucht
Auf dem Pachtgebiet vor dem Tor befanden sich Sportplätze, Ackerland, landwirtschaftliche Gebäude und Lauben zum Musik üben. Um zum Pachtgebiet zu gelangen, waren Erlaubniskarten notwendig. Diese mussten beim Posten am Tor vorgezeigt werden. Es gab verschiedene Arten von Erlaubniskarten: zum Holz kaufen, für Besitzer von Geflügelställen, für Pächter von Ackerland, für Sporttreibende und für Musikübende (1). Die Erlaubniskarten hatten unterschiedliche Gültigkeitsdauern (2):
Erlaubniskarte |
Gültigkeit |
zum Holz kaufen |
bis 11.30 Uhr, sofortige Abgabe nach Benutzung |
Besitzer von Geflügelställen |
täglich vom Wecken bis zur Abendmusterung |
Pächter von Ackerland |
täglich von der Frühmusterung bis zur Abendmusterung |
Sporttreibende |
täglich außer mittwochs und samstags von 6.30 bis 10.30 Uhr und 14.30 bis 17.30 Uhr |
Musikübende |
täglich von 6.30 bis 10.30 Uhr und 14.30 bis 17.30 Uhr |
Die Grenzen des Pachtgebiets waren durch weiße Flaggen markiert und durften von den Gefangenen nicht überschritten werden. Verstöße gegen diese Vorschrift wurden mit Arrest und Entziehung der Erlaubniskarte bestraft (3). Im Sommer 1919 häuften sich die Grenzüberschreitungen in großem Maße, so dass die Lagerleitung drohte, das Pachtgebiet ganz zu schließen. Um dieses abzuwenden, verhandelten die Lagerältesten mit Hauptmann Takaki und vereinbarten, dass die Grenzen besser gekennzeichnet und gleichzeitig ein deutscher Sicherheitsdienst eingerichtet werden sollte, der die Einhaltung der Grenzen beaufsichtigte (4). Der Sicherheitsdienst nahm am 7. August 1919 seine Arbeit auf (5). So kam es, dass die deutschen Kriegsgefangenen sich in gewissem Umfang selbst bewachten:
„Außenseiter“: Markierung der Grenzen des Pachtgebiets mit weißen Flaggen. Muttelsee, Willy. Karl Bähr. Nachtrag zu 4 1/2 Jahre hinterm Stacheldraht. Bando: Kriegsgefangenenlager, 1919, o.S., im Besitz des Deutschen Hauses Naruto
Der „Fremdenführer durch das Kriegsgefangenenlager Bando, Japan" enthält die untenstehende Karte des Pachtgebiets (6). Die Anlage wird wie folgt beschrieben: „Unmittelbar vor dem Tore, rechts und links der Straße, die nach Bando führt, sehen wir zunächst Geflügelställe, sodann die Häuser der japanischen Händler, die die Waren für die Kantine liefern. Es ist neuerdings verboten, bei diesen Händlern zu kaufen. Ausgenommen ist der Holzhändler. (Erstes Haus links). Gegenüber liegt die ‚Jamkocherei von Komatsu’, Leiter: W. Jäger. Verkauf der Erzeugnisse durch Stahl, Baracke 5. Zu erwähnen ist bei dieser Gelegenheit die Molkerei und Viehzüchterei, die wir im Hintergrunde liegen sehen. Sie gehört einem Japaner und steht unter Leitung des Gefreiten Clausnitzer. ... Ohne besondere Erlaubnis dürfen wir die Anlage nicht besuchen, da sie außerhalb der Grenzen des Pachtgebietes liegt. Um zu dem Ackerland zu gelangen, müssen wir bis zum Tore zurückkehren und uns nach links wenden. (Anträge auf Pachtung von Ackerland sind an Uoffz. d. Lst. Krätzig, Bar. 5 zu richten.) Wir durchqueren das Ackerland und erreichen die Plätze des ‚Tennisverein Bando’ mit der Tennislaube. Südlich davon liegt ein Faustballplatz und daneben der Treibballplatz, der auch für Schlagballspiele benutzt wird. Jenseits des Treibballplatzes liegt der Fußballplatz, nördlich davon die Plätze der ‚Neuen Tennis=Vereinigung Bando’ mit Tennislaube. Im westlichen Teile des Pachtlandes finden wir wieder Ackerland, sowie zwei Buden zum Musiküben." (7)
Sportplatzbau. Foto aus Besitz des Deutschen Hauses Naruto, Negativ-Nr. 71-29
Die Sport- und Tennisplätze wurden von den Gefangenen in Eigenleistung angelegt. Diejenigen, die sich an den Bauarbeiten beteiligten, erwarben damit das Anrecht, die Plätze mitzubenutzen (8). Die Arbeiten begannen am 1. Mai 1917, also knapp einen Monat nach Einzug in das Lager Bandō (9). Bereits Mitte Juni konnten die Tennisplätze in Betrieb genommen werden (10) und am 22. Juli 1917 wurde der Sportplatz mit einem Fußballspiel zwischen der Mannschaft Matsuyama und der Mannschaft der 2. Kompanie des III. Seebataillon eingeweiht (11). Bis zur Fertigstellung des Treibball- und des Faustballplatzes dauerte es weitere drei Wochen (12). Die Koordination aller sportlichen Aktivitäten im Lager oblag dem Sportausschuss, welchem Vertreter aller Truppenteile angehörten (13). Im Laufe der Zeit entstanden zahlreiche Sportvereinigungen (14):
Name |
Mitgliederzahl |
Aufnahmegebühr |
Monatsbeitrag |
Tennisverein Bando |
45 |
10 Yen |
1 Yen |
Neue Tennis-Vereinigung Bando |
52 und 1 Ehrenmitglied |
- |
- |
Hockey-Vereinigung Bando |
88 |
4 Yen |
35 sen |
Sportverein Matsuyama |
100 |
50 sen |
15 sen |
Marugame Fußball-Klub |
70 |
30 sen |
15 sen |
Sportverein M.A. [Matrosenartillerie Abteilung] |
150 |
- |
10 sen |
Lagerturnverein Bando mit Leichtathletikabteilung |
- |
- |
- |
Sportverein Jugendkraft [Ringen und Boxkampf] |
40 |
20 sen |
10 sen |
Faustballvereinigung „Alte Herren“ |
30 |
- |
- |
Schlagballvereinigung „Alte Herren“ |
30 |
- |
- |
Im Fall der beiden Tennisvereine und der Hockey-Vereinigung war die Mitgliederzahl begrenzt. Nur bei Ausscheiden alter Mitglieder konnten neue aufgenommen werden (15). In der „Baracke“ finden sich mehrere Cartoons zu den verschiedenen Sportarten.
Hockeyspieler. Foto aus Besitz des Deutschen Hauses Naruto, Negativ-Nr. 76-14
Fußballmannschaft. Foto aus Besitz des Deutschen Hauses Naruto, Negativ-Nr. 1-0-3147
Im Lager wurden zahlreiche Wettkämpfe ausgetragen. Vom 1.-14. Oktober 1917 fand z.B. die so genannte Sportwoche statt, bei der Wettspiele in Fußball, Schlagball und Faustball ausgetragen wurden (16). Ende Juli 1918 wurde ein Schlagball-Wanderpreis vergeben (17). Am 3. Oktober 1918 wurde ein großes Tennis-Turnier abgehalten, zu dem sich 256 Spieler anmeldeten (18) und am 6. Oktober 1918 fand die „Klein deutsche Turnfeier der Alten Herren Riege" statt (19).
Die Gefangenen hatten die Möglichkeit, Ackerland zu pachten und darauf eigenes Gemüse und Blumen zu ziehen. Von den anderen Lagerinsassen wurden die Landwirte manchmal etwas belächelt, da sich die Erwartungen auf eine große Ernte nicht immer bewahrheiteten. Insbesondere bei den Sportlern waren die Gärtner mit ihren Mistfuhren nicht gerade beliebt. Der Artikel „Pauls Landwirtschaft" (20) gibt einen Einblick in Freud und Leid des Kriegsgefangenen-Landwirts: „Die Landbesitzer, zu denen sich auch Paul zählt, sind eine ganz merkwürdige Klasse von Kameraden. Wenn es nämlich regnet, regnet, daß die Fuß=, Schlag=, Treib=, Faustball= und Tennisspieler missmutig aus ihren freien Staatswohnungen auf die lehmigen Straßen und Plätze starren, dann freuen sich diese ‚Salatköpfe’, diese ‚Gemüseonkel’, diese ‚Agrarier’. ‚Wunderbares Dungwetter’ – sagen sie, sich die Hände reibend ... Ja kürzlich, als er [Paul] mit seiner Fuhre Mist über den Fußballplatz duftete, daß ihm von allen Seiten ein entrüstetes: ‚Mistbauer elender’ entgegentönte, selbst da blieb er ruhig und sagte nur verächtlich: ‚Diese Knochenbrecher! Sind ja bloß neidisch!’" (21)
Allerdings erfüllen sich in dem Artikel Pauls Hoffnungen auf einen reichen Lohn seiner Mühe nicht: Die Lagerhunde wälzen sich in seinen Beeten. Während einer dreitägigen Truppenübung der Japaner trampeln Soldaten über sein Feld, und der Salat schießt in die Höhe, da Paul ihn nicht rechtzeitig ernten kann. Fehlgeleitete Fußbälle knicken seine Pflanzen. „Von den Radieschen, die die Raupen abfraßen, von den Gurken, die die kleinen gelben Käfer vertilgten, dem Kohl, den sich die Raben schmecken ließen, von der roten Beete, die Paul als Unkraut ansah und ausrupfte, von den Bohnen und dem Mais – man sollte gar nicht glauben, was so alles auf 60 qm geht – von all dem will ich gar nicht reden. ... Genug, ein paar Bund selbstgezogenen Radieschen und ein paar Handvoll Tomaten und ein paar Mal selbstgezogenen Gurkensalat brachte Paul doch triumphierend nach Hause." (22)
Ganz so negativ, wie der Artikel zu Paul vermuten lässt, waren die Ergebnisse der Landwirte letztlich wohl doch nicht. An anderer Stelle in der „Baracke" findet sich die folgende Passage: „Das Radieschengeschäft scheint allerdings nichts mehr einzubringen. Zieht doch jeder zweite oder dritte Mann seine Radieschen selber, und es ist herzerquickend, den Segen, der auf der Landwirtschaft ruht, in Salatköpfen, Radieschen, Rettichen usw. eimervoll tagtäglich ins Lager strömen zu sehen." (23) Wie man den zahlreichen Annoncen im T.T.B. entnehmen kann, entwickelte sich auch ein blühender Handel mit Gemüse- und Blumensamen (24).
„Ackerbau und Viehzucht“. Muttelsee, Willy. Karl Bähr. 4 1/2 Jahre hinter’m Stacheldraht. Skizzen-Sammlung. Bando: Kriegsgefangenenlager, [1919], o.S., im Besitz des Deutschen Hauses Naruto
Zahlreiche Kriegsgefangene hielten Kleintiere, die als Schlachtvieh oder Eierlieferanten. Eine Zählung am 1. November 1918 ergab folgende Verteilung (25):
Hühner |
1008 (über die Hälfte selbst gezüchtet) |
Enten |
282 |
Gänse |
30 |
Truthühner |
30 |
Tauben |
75 |
Karnickel |
51 |
Außerdem gab es noch die „Lagerschweinchen" (26), die den Insassen gemeinsam gehörten und die mit den Speiseresten aus dem Lager gefüttert wurden. Die 10 Ferkel waren im September 1919 aus Spendenmitteln angeschafft worden und sollten bis zur Schlachtreife gemästet werden (27).
Schweineaufzucht. Foto aus Besitz des Deutschen Hauses Naruto, Negativ-Nr. 71-29
Die Versorgung der privat von einzelnen Gefangenen gehaltenen Tiere mit Futter war eine ständige Beschäftigung. Landwirte, die auch Geflügelhalter waren, züchteten extra Spinat und Kohl etc. als Hühnerfutter (28). Andere führten ihre Tiere auf die Weide (29). Das „Frösche greifen", also das Frösche-fangen, war ein beliebter Sport, und auch geschlachtete Hunde oder Katzen wurden verfüttert (30). Außerdem wurden Ausflüge genutzt, um Grünzeug zu sammeln: „Komisch ist es, einen Karnickelbesitzer auf so einem Spaziergang zu beobachten. Schwelgen andere in Naturschönheiten und lassen ihr Auge bewundernd über Berg und Tal und die blaue See schweifen, so richtet er das seine krampfhaft auf den Boden. Mit scharfem Blick erspäht er ein grünes Hälmlein, blitzschnell fährt er mit sicherem Griff darauf und schon ist es im gefräßigen Brotbeutel verschwunden." (31)
Einer der Hühnerställe. Foto aus Besitz des Deutschen Hauses Naruto, Negativ-Nr. 39-3
Die Begeisterung für die Geflügelhaltung im Lager war sehr groß, wie die folgende Passage aus der „Baracke" zeigt: „Ja, ja, wer noch nie den süßen träumerischen Zustand kennen gelernt hat, der sich auf das Gemüt des Kriegsgefangenen legt, wenn er im Hühnergarten in der Frühlingssonne dahindöst und den Lockungen und Tätigkeiten des Hahnes und seines Harems nachsinnt, der kann über ‚Hühner’ einfach nicht mitreden. ‚Hühnerzauber’ möchte man diesen seligen Ruhezustand nennen, der etwas vom Nirvana der Buddhisten an sich hat. Wacht man dann wieder auf, wird das Herz erfreut durch Perspektiven auf Eierfrühstücke, Brathähnchen usw." (32) Die Zahl der Hühnerbesitzer nahm im Laufe der Zeit zu: „Seit ungefähr 4 Wochen sind weite Kreise des Lagers von einem gefährlichen Geflügelfummel ergriffen. Der Eiersegen einiger Hühnerbesitzer hat wie ein Bazillus gewirkt. Selbst Sumpfhühner und Bücherwürmer, die man für gefeit gegen solche Anwandlungen gehalten hätte, sind von der Ansteckung nicht verschont geblieben. Statt weiter herumzusumpfen oder hinter Büchern zu hocken liegen sie jetzt dauernd im Hühnerstall oder führen ihre Enten und Gänse auf die Weide." (33)
Das Hühnerstallviertel war auch bei Musikübenden beliebt. In dem Artikel mit den Daten zur „Hühnervolkszählung" heißt es weiter: „Unter diesen 1476 Stallbewohnern sind jene, die nicht krähen oder gackern, sondern nur Fiedel und Harmonium quälen, nicht mitgezählt. Wenn jetzt durch den Futtermangel Ställe leer werden, wird das Hühnerviertel noch musikalischer werden." (34) Im T.T.B. findet sich z.B. die folgende Annonce: „Achtung!!! Neues geräumiges Hühnerhaus, 7 Fenster, idyllisch gelegen, ozonreiche Luft, an Musikfreund billig zu vermieten – Täglich frische Eier, junge Hühnchen. Näheres 4/114, 4/85, 4/82." (35) Bei Anschaffung der Mastferkel wurde nämlich zum Nachteil der Geflügelbesitzer von der Lagerleitung festgelegt, dass Speisereste aus den Küchen nur noch an die Schweine verfüttert werden durften (36).
Einer der Hühnerställe. Foto aus Besitz des Deutschen Hauses Naruto, Negativ-Nr. 35②-34
Zwischen den Imkern und den Betreibern der Konditorei „Geba" kam es im Sommer 1918 zu einem Streit, da die Bienen die Bäcker bei ihrer Arbeit belästigten: „Die Bienen finden ihren Weg zur Geba auch ohne Benutzung des neugebauten ‚Geba’=Weges. Sie wissen wohl, daß dort ‚Bienenstiche’ stark verlangt werden. Dabei suchen sie unter den leckeren Waren nach Nahrung, - nicht zur Freude der Gebaner. Von denen meinte einer: ‚Die Leute sollen doch keine Bienen halten, wenn sie sie nicht ernähren können.’ Aber keiner unserer Imker will’s gewesen sein, jeder schwört auf die Wohlerzogenheit seines Bienenvolkes. Man sollte den unliebsamen Gästen Mehl auf den Schwanz streuen, dann würde man durch Beobachtung aller Bienenkörbe gleich dahinter kommen, wo die Räuber zu Hause sind und könnte dem überführten Bienenvater die Rechnung für bezogene Waren zustellen." (37)
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