Theater
Benehmen im Theater
Vor der Aufführung von Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung" im Juni 1918 erschien in der „Baracke" eine Aufstellung mit „Regeln für den Theaterbesucher", die einen Eindruck vermittelt, wie es bei den Vorstellungen zugegangen ist: „Anläßlich der jetzigen Vorstellung dürfte es angebracht sein, ein paar alte, bisher ungedruckte, aber trotzdem beobachtete Regeln für den Theaterbesuch ins Gedächtnis zurückzurufen:
- Komme grundsätzlich zu spät, denn dann brauchst du dich von den anderen nicht schieben und stoßen zu lassen, und durch praktische Anwendung des akademischen Viertels, oder so ähnlich, beweist du am besten deine Büldung.
- Gehst du zur 50 sen-Vorstellung, so bringe ruhig einen Riesenklubsorgenschlafstuhl mit. Die durch deine Anwesenheit geehrte und unterstützte Theatergesellschaft wird sicherlich nichts dagegen haben. Das kannst du für dein gutes Geld verlangen.
- Gehst du aber in die 10 sen-Vorstellung, so lege wenigstens ein paar Kissen oder Decken auf die niedrige, harte Bank. Sonst könnte dein Hintermann über dich hinweg – und vielleicht mehr sehen als du und der bezahlt doch auch nicht mehr.
- Den Bewegungen auf der Bühne folge mit den entsprechenden Bewegungen des Kopfes, von rechts nach links, von links nach rechts usw. Diese Bewegung wird sich schon auf die Hintermänner fortpflanzen, denn die wollen ja auch sehen.
- Rauche wie ein Schlot, denn du weißt und liest es dauernd, daß das mit Rücksicht auf die Lungen der Schauspieler nicht erwünscht ist. Nur durch Nichtbeachtung solcher Wünsche beweist du den wahren Mut. Wem es nicht passt, der kann ja rausgehn. Das Theater ist doch nicht allein für Nichtraucher da.
- Wenn ein Witz kommt, so zeige deine literarischen Kenntnisse dadurch, daß du schon vorher zu lachen anfängst, deinen Sinn für Humor, indem du minutenlang weiter wieherst.
- Spielt oder singt man dir bekannte Melodien, so singe oder brumme mehr oder weniger leise mit. Dann merkt man wenigstens, daß der jahrelange Aufenthalt in einem hochmusikalischen Kriegsgefangenenlager nicht spurlos an dir vorübergegangen ist.
- Wenn du weißt oder merkst, daß das Stück zu Ende geht, warte nicht, bis der Vorhang fällt, sondern packe deine Siebensachen ohne Verzug ein, damit du vor den andern draußen bist, denn Zeit ist Geld." (1)
Dass nicht alle sich diese Regeln zu Herzen genommen haben und ihr Benehmen weiterhin bei den Kameraden nicht auf Gegenliebe gestoßen ist, zeigt die folgende Bemerkung aus der „Baracke" über die Aufführung von „Egmont" im Februar 1919: „Trotzdem bekannt gemacht worden war, daß vor Beginn der Eröffnungsmusik die Saaleingänge geschlossen würden, mußten einige mit chronischer Unpünktlichkeit Behaftete selbstverständlich zu spät kommen. Immer dieselben! Trotzdem die Siegessymphonie am Schluß des Stückes dem Schutze des Publikums empfohlen worden war, konnten mehrere nicht schnell genug unter Musikbegleitung hinauskommen. Der Soldat ist eben ein Mensch und kein Automat. Und was soll alle Faselei von gewöhnlicher Ewigkeit, solange ich mir nicht ein paar Flaschen Bier mit ins Theater nehmen oder mir nicht einen Glimmstengel anzünden darf, wenn es einem passt?! Ohne Rücksicht darauf, ob die den ergreifenden letzten Worte Egmonts oder der Musik lauschenden Kameraden durch die überall aufflammenden Zündhölzchen gestört werden oder nicht." (2)
Dass aber auch die Schauspieler selbst sich nicht unbedingt an das Rauchverbot gehalten haben, verrät die Zeichnung „Hinter den Kulissen".
„Hinter den Kulissen“. Muttelsee, Willy. Karl Bähr. Nachtrag zu 4 1/2 Jahre hinterm Stacheldraht. Bando: Kriegsgefangenenlager, 1919, o.S., im Besitz des Deutschen Hauses Naruto
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