Theater

Aufführungen April-Juni 1918: Rezensionen

 
 
4. April 1918 (zweimal wiederholt): „Der zerbrochene Krug" von Heinrich von Kleist22. April 1918 (dreimal wiederholt): „Puppenspiele Bando"1. Mai 1918 (zweimal wiederholt): „Wallensteins Lager" von Friedrich von Schiller22. Mai 1918 (dreimal wiederholt): „Das Leben ein Traum" von Pedro Calderón de la Barca25. Juni 1918 (zweimal wiederholt): „Der Widerspenstigen Zähmung" von William Shakespeare

Theatergruppe: Gruppe Brandau (1)
In dem Einführungsartikel, der vor der Aufführung von „Der zerbrochene Krug" in der „Baracke" erschien, wird auf die „Bühnenmängel" des Stückes verwiesen und der Autor warnt: „Wir weisen noch darauf hin, daß ein solches Drama weniger als jedes andere eine dilettantische Aufführung verträgt und bitten das Publikum, das zu berücksichtigen. Das Werk hat indes zuviel echten deutschen Humor in sich, als daß wir es hier, wo uns jede heitere Erinnerung an die Heimat so wohl tut, übergehen könnten." (2) Die Gruppe Brandau scheint sich jedoch bei der Umsetzung des nicht ganz einfachen Stückes wacker geschlagen zu haben. Der Rezensent schreibt:
„Mit anderen Worten, es [das Stück] appelliert in erster Linie an unser geistiges Auge, nicht an unser sinnliches.
Wenn freilich dem Zuhörer zwei Stunden hindurch keine Erholungspause gegönnt, dem Auge keine Abwechslung geboten und der Verstand in scharfer Anspannung gehalten wird, um dem feingeschliffenen Dialog folgen zu können, so bedeutet das gewiß eine starke Anforderung an die in der Gefangenschaft mehr oder weniger getrübte Aufnahmefähigkeit des Zuschauers. Aber es bedeutet zugleich eine viel größere Schwierigkeit für Regie und Darsteller, die in Überwindung der Schwächen des Stückes alles daran setzen müssen, das Interesse des Zuschauers wachzuhalten. Das schauspielerische Können wird auf die höchste Probe gestellt, die Regie zur feinsten und mühevollsten Kleinarbeit, ganz abgesehen davon, daß die Wiedergabe der vom Dichter auf die Bühne gebrachten Personen schon an und für sich schwere Aufgaben stellt, die schwersten, die vielleicht überhaupt an Dilettanten gestellt werden können. Besonders nahe liegt dabei die Gefahr des Übertreibens und Karrikierens. Um so erfreulicher ist es feststellen zu können, daß die Aufführung allen diesen Schwierigkeiten in erfreulich hohem Maße gerecht geworden ist. Und es kann diesem günstigen Gesamteindruck keinerlei Abbruch tun, wenn man manchmal mehr Abstufung, mehr Auf und Nieder im Gange der Handlung gewünscht hätte, und wenn manche Töne vielleicht etwas ruhiger, verhaltener hätten angeschlagen werden können." (3).
 
Die musikalische Umrahmung wurde im Falle dieser Aufführung nicht so günstig beurteilt: „Man fragt sich, ob die Absicht, die Stimmung durch ein einleitendes Musikstück vorzubereiten – Ouverture [sic] zur Oper ‚Die Zauberflöte’, gespielt unter Leitung des Sees. P. Engel – erreicht worden ist, oder ob es nicht besser wäre, ganz hiervon abzusehen. Denn für manche geht viel Stimmung wieder durch die Unruhe des Abbauens des Orchesters verloren; es kommt hinzu, daß die vorderen Reihen der Musik zu nahe sitzen und mancher gute Platz, insbesondere für kurzsichtige und schwerhörige Kameraden, durch das Orchester verloren geht." (4) Insgesamt fällt der Rezensent jedoch das Urteil: „Alles in allem aber eine wohlgelungene Aufführung, für die wir Gruppenleiter und Darstellern gleich dankbar sein dürfen." (5)

 
 

Ankündigung. T.T.B. Bd. 3, 30. März 1918, S. [3]

Programmheft. DIJ-Signatur E 2-04

Aufgeführte Stücke: „Der Teufel nahm ein altes Weib" von Hans Sachs und „Kasperl unter den Wilden" von Franz Graf von Pocci ) / Leitung C. Lätzsch (6)
 
In der „Baracke" erschien zunächst ein Einführungsartikel zum Puppentheater im Allgemeinen (7). Da die Puppenbühne natürlich wesentlich kleiner als die normale Bühne war, wurde die Anzahl der Zuschauerplätze auf etwa die Hälfte der sonst üblichen reduziert, damit die hinten Sitzenden auch noch etwas sehen konnten (8). Die Vorstellung erhielt eine sehr positive Besprechung in der „Baracke":
„Die von der Ausstellung [für Bildkunst und Handfertigkeit] her wohlbekannte künstlerisch ausgeführte kleine Bühne stand geschmackvoll aufgebaut vor uns und sie war es wohl in erster Linie, die eine so eigenartig intime Stimmung in unseren sonst alles andere als schönen Theaterraum brachte. ... Der bunte Vorhang hebt sich, und vor uns steht der Theaterdirektor. Ganz ernsthaft, mit lebendigen Gesten hält uns der kleine Mann neben dem zierlichen Pult eine Vorlesung über das Marionettentheater im allgemeinen und die unvergängliche Gestalt des Kasperls im besonderen, wobei er nicht verfehlt, von Zeit zu Zeit in sein Manuskript zu schielen. Jeden Augenblick meint man, nun werde er auch einen Schluck Wasser zur Stärkung aus dem Glas nehmen. Aber es gelingt ihm seine Rede so zu Ende zu führen und wirksam die Stimmung auf die beiden Stücke vorzubereiten, die nun folgten: Poccis ‚Kasperl unter den Wilden’ und Hans Sachs’ Fastnachtsspiel ‚Der Teufel nahm ein altes Weib’.
Der Haupteindruck des Abends war die künstlerische Geschlossenheit des Dargebotenen. Es würde zu weit führen, auf Einzelheiten einzugehen, hervorgehoben seien vor allem die vom Veranstalter selbst prächtig geschnittenen Figuren und die hübschen Bühnenbilder, von denen insbesondere der Blick in die alte deutsche Kleinstadt aus Großvaters Tagen und in die Waldlandschaft voll echter Stimmung waren. Eine Märchenstimmung, die es der Phantasie gar leicht machte, das Dargestellte mitzuerleben und allen kritischen Geist mal einen Abend lang auszuschalten. Wir kritisieren ja sowieso gerade genug im Leben, und gar erst in der Gefangenschaft!" (9)

 
 

Programmheft . DIJ-Signatur E 2-06

Theatergruppe: Vereinigte Gruppe der 5. Kompanie und der Marine-Pionier-Kompanie (M.P.K.) (10)
Mit „Wallensteins Lager" stand ein Klassiker auf dem Programm. Die Aufführung war zwar nicht ohne Mängel, wurde aber im Großen und Ganzen positiv besprochen. Der Rezensent schreibt: „Die Wirkung des Stückes beruht weniger in einzelnen Charakteren, die zumeist vom Dichter nur mit wenigen Strichen gezeichnet sind, als in dem Gesamteindruck, den die Masse auf den Zuschauer ausübt. ... Ist es für Dilettanten schon schwer, in Szenen mit wenigen Personen das Spiel leicht und gefällig zu gestalten, den Eindruck des Selbstverständlichen hervorzurufen, daß der Zuhörer die Szene sich nur so und nicht anders denken kann, so wächst die Schwierigkeit bei Szenen von größerer Personenzahl, möchte ich sagen, im Quadrat mit der höher werdenden Ziffer ihrer Darsteller. ... Wie besonders in ‚Wallensteins Lager’, darf sich nie der Eindruck verlieren, daß die geschauten Massen zu einem noch größeren Kreis gehören, der sich jenseits von Kulissen und Sofitten noch fortsetzt. ... Auf Einzelheiten wollen wir nicht eingehen. Neben glänzenden Momenten (Tanz. Auftreten der Kürassiere usw.) fand sich auch oft das vorher besprochene leidige Schema (Aufnahme der Kapuzinerpredigt. Schlußgruppe). Besonders empfindlich war die geringe Größe der Bühne. Ich musste mit Sehnsucht an das ‚Bandoer Freilicht’ denken. Vielleicht hätte sich durch ein Zurückdrängen der Massen gegen den Hintergrund, Fortfall der Tische u. dergl. einiges ausgleichen lassen. ... In Kostümen und Dekoration war Großes geleistet worden. Wir loben den Eifer und beglückwünschen die Kameraden von K. 5 und M.P.K. zu ihrem ersten klassischen Werk." (11)
Ein Foto vermittelt einen guten Eindruck, wie sich die „Massen" in „Wallensteins Lager" auf der kleinen Bandōer Bühne drängten.

 
 

Szene aus „Wallensteins Lager". Pörzgen, Hermann. Theater ohne Frau. Das Bühnenleben der kriegsgefangenen Deutschen 1914-1920. Königsberg: Ost-Europa-Verlag, 1933, Abb. 19

Ankündigung . T.T.B. Bd. 4, 15. Mai 1918, S. [3]

Theatergruppe: Gruppe der 6. Kompanie (12)
Vier Tage vor der ersten Aufführung hielt Hermann Bohner einen Vortrag über das Stück. Außerdem erschien ein sehr ausführlicher, einführender Artikel über Calderóns „Das Leben ein Traum" in der „Baracke" (13). Die Aufführung selbst erhielt die wohl überschwänglichste Kritik von allen Theateraufführungen in Bandō. Der Rezensent schwärmt: „Ich möchte an dieser Stelle dem Gefühl herzlichsten Dankes Ausdruck geben, den wir einer Reihe von Kameraden schulden, die den großen Versuch gemacht haben, uns eine der Meisterschöpfungen des Menschengeistes – Calderons ‚Das Leben ein Traum’ – nahe zu bringen. Mit unendlich viel Feinsinn, Fleiß, Geschmack und künstlerischem Können haben sie uns eine Leistung vor Augen geführt, deren Größe manch einem vielleicht kaum in ihrem vollen Umfang aufgegangen sein wird. Es ist eine Arbeit gewesen, die bis ins Kleinste durchdacht und durchfühlt den willigen Hörer ganz in ihren Zauberbann geschlagen hat. Nicht etwas, das am Ohr vorüberrauscht und vielleicht als schön empfunden, dann aber im Getriebe des Tages schnell vergessen wird; nein, der Eindruck wird haften bleiben! Die Aufführung ist vielen ein großer Moment gewesen, und dankbar werden sie ihn als etwas, das ihnen wert und teuer, hüten." (14)

 

Nicht nur an der Wirkung, auch an der Ausstattung des Stückes hat der Rezensent nichts zu bemängeln, sondern ist ganz des Lobes voll: „Der Vorhang hebt sich zum ersten Mal; eine wilde Wald- und Felsenlandschaft öffnet sich dem Blick. Weithin schweift das Auge über kahle Felskuppen, hinter denen die Sonne zur Rüste geht, die einsame Gegend mit ihren letzten Strahlen übergoldend. Langsam schwindet das Licht, (wie fein ist die Stimmung getroffen!) und nun tritt aus dem Dämmer, das über dem Gebirge lagert, ein Menschenwesen hervor und klagt über sein Geschick ... Noch eine Szene! Die ganze Pracht eines Königshofes der ‚spanischen Zeit’ tut sich vor unseren erstaunten Augen auf. Sehr fein hebt die russische, an die Basiliuskirche in Moskau erinnernde Bogen- und Säulenarchitektur das Bild. ... Man vergegenwärtige sich noch einmal die Pracht, die unsere Bühne hier entfaltete, den Zusammenklang der Farben, die feine Abtönung in Gestalten und Kleidern, in Spiel und Gegenspiel." (15)
Das Bühnenbild des Königspalastes mit der erwähnten Bogen- und Säulenarchitektur ist in der letzten Nummer der „Baracke" wiedergegeben ebenso wie das des Kerkers, in dem der Königssohn gefangen gehalten wird.

 
 
 

Theatergruppen: Gruppen der 2. und 4. Kompanie unter Leitung von O. Jacob (16)
Für diese Aufführung fand sich anscheinend eine neue Theatergruppe zusammen, deren Spiel zwar noch nicht ganz ausgereift war, die aber doch gefallen hat. In der Besprechung in der „Baracke" heißt es: „Eigentlich gehören Shakespearesche Naturen dazu, die ihr Talent im exakten Studium der Menschen gebildet haben, wenn die Lebenskraft der Charaktere uneingeschränkt wirken soll. Das ist für unsere Verhältnisse natürlich ausgeschlossen, und hier ist mehr als irgendwo ein relativer Maßstab zur Beurteilung notwendig. Festzustellen ist: was wurde mit den vorhandenen Mitteln geleistet?
Da läßt sich viel Gutes sagen. Es hat uns gefreut, wieder neue Kräfte auftreten zu sehen, da unsere Künstler zum Teil zu wenig aus ihrer Haut herauskönnen, als daß sie sich nicht schon beim zweiten Auftreten wiederholten. ... [D]ie Liebe, mit der sie [die Darsteller] alle sich ihrer Aufgabe hingegeben hatten, gewann unsere Sympathie für die junge Truppe, deren weitere Entwicklung wir mit Interesse verfolgen. Großes Lob verdiente die Dekoration (nach Entwürfen des Herrn Lt. Müller), die gegenüber der auf der Bühne unzweckmäßigen Detailmalerei gerade die große Fläche und Linie ganz im Sinne des Stückes vorteilhaft betonte (Platz in Padua). –
Sehr wirkungsvoll kam die Zwischenmusik, die von Mitgliedern des Engelschen Orchester ausgeführt wurde, zur Geltung. Alles in allem: wem es Bedürfnis war, sich an einem Shakespeare im Innersten wohl zu tun, der konnte es trotz allem unvermeidlichem Dilettantentum." (17)
Und der Rezensent zieht das Fazit: „Das Beste bringt der Zuschauer stets selbst in das Theater mit." (18)

 
 

Ankündigung. T.T.B. Bd. 4, 17. Juni 1918, S. 4

 

(1) Die Baracke Bd. 2, No. 6 (32), 5. Mai 1918, S. 162
(2) Die Baracke Bd. 2, No. 1 (27), 31. März 1918, S. 23
(3) Die Baracke No. 2 (28), 7. April 1918, S. 45-46
(4) Die Baracke No. 2 (28), 7. April 1918, S. 47
(5) Die Baracke No. 2 (28), 7. April 1918, S. 47
(6) Die Baracke Bd. 2, No. 6 (32), 5. Mai 1918, S. 163
(7) Die Baracke Bd. 2, No. 4 (30), 21. April 1918, S. 99-102
(8) T.T.B. Bd. 3, 18. April 1918, S. [4]
(9) Die Baracke Bd. 2, No. 5 (31), 28. April 1918, S. 126-129
(10) Die Baracke Bd. 2, No. 12 (38), 16. Juni 1918, S. 331
(11) Die Baracke Bd. 2, No. 6 (32), 5. Mai 1918, S. 160-162
(12) Die Baracke Bd. 2, No. 12 (38), 16. Juni 1918, S. 333
(13) Die Baracke Bd. 2, No. 8 (34), Pfingstsonntag 1918, S. 213-223
(14) Die Baracke Bd. 2, No. 9 (35), 26. Mai 1918, S. 241
(15) Die Baracke Bd.2, No. 9 (35), 26. Mai 1918, S. 242-243
(16) Die Baracke Bd. 2, No. 16 (42), 14. Juli 1918, S. 439
(17) Die Baracke Bd. 2, No. 14 (40), 30. Juni 1918, S. 380-382
(18) Die Baracke Bd. 2, No. 14 (40), 30. Juni 1918, S. 382