Theater

Aufführungen Januar-März 1919: Rezensionen

 
 
4. Januar 1919 (zweimal wiederholt): „Die beiden Seehunde" von Carl Rössler17. oder 18. Februar 1919 (dreimal wiederholt): „Egmont" von Johann Wolfgang von Goethe18. März 1919 (viermal wiederholt): „Im weißen Rössl" von Oscar Blumenthal und Gustav Kadelburg

Leitung: R. Goldschmidt (1)
Der Rezensent in der „Baracke" behandelt zunächst die Verwechslungskomödie „Die beiden Seehunde" inhaltlich und kommt zu dem Schluss, dass die Handlung ein „gewisses Gefühl der Enttäuschung" (2) hinterlasse. Er argumentiert jedoch weiter, dass das Stück während des Krieges entstanden sei und folgert deshalb: „Betrachtet man nun von dieser Seite aus noch einmal kurz ein Stück wie ‚Die beiden Seehunde’, so wird man vielleicht in dem, was flach und seicht erscheint, nicht mehr reines Unvermögen des Dichters suchen, sondern wohl ein absichtliches Unwirklich-Sein-Wollen, einen Versuch zur Rückkehr in biedere Spitzwegsche Behaglichkeit. ... Von dieser Seite her gesehen wird das Stück für unseren Geschmack gewiß nicht besser, aber man wird vielleicht eher verstehen, daß die Kriegszeit auch solche spielerische Sinnenfreude braucht, um einmal alles Quälende auszulöschen und zu stärkendem, befreiendem Lachen zu kommen." (3)
 
Am Ende der Rezension kommt schließlich auch die Aufführung zur Sprache, die insgesamt ein recht positives Urteil findet: „Die Regie hatte sich große Mühe gegeben. Besonders gefielen die Szenenbilder des zweiten und dritten Aktes. Im ersten Akt war vielleicht die Sparsamkeit des Kurfürsten zu sehr betont. Bei der Umkleideszene erregten die weißen III.S.B.-Namensschilder [III. Seebataillon] in den Jacken der beiden Helden die wohlwollende Aufmerksamkeit der Zuschauer." (4)

 
 

 Dass Schauspieler in den Theaterrezensionen der „Baracke" einzeln besprochen werden, kommt eher selten vor. Im Falle von „Die beiden Seehunde" geschieht dies jedoch sehr ausführlich: „Gespielt wurde fast durchweg gut. Aus der langen Reihe der Darsteller seien nur ein paar Namen genannt, die besonders ansprachen:
Krück als Kurfürst sehr sympathisch und fein, besonders im Nichtübertreiben.
Hagemann, sein Doppelgänger, biederer ernster Typ.
Blaschke sehr gut als Oberlehrer.
Kremer als Oberauer – gutgespieltes Geldproletentum.
Junker als Buchdrucker Friese – sehr gut durch volle Natürlichkeit des Spiels.
Krieger als Hebamme – trotz der Kleinheit der Rolle wohl eine der besten schauspielerischen Leistungen, die wir hier gesehen haben.
Faas als Dienstmannsfrau – famoser Typ Berliner Zentral-Mar[kt]halle.
Der Leibkammerdiener und Hofsekretär zeigten etwas zu viel schauspielerisches Wollen. Wenn auch der gute Wille nicht zu verkennen war, so ist doch in solchen Fällen weniger oft mehr." (5)
 
Zur allgemeinen Erheiterung stand ausgerechnet Heinrich Michelmann, der im T.T.B. häufig Verkaufsinserate für Pudding aufgab, mit eben jenem Produkt auf der Bühne. Der Rezensent schreibt: „Annemarie (Michelmann) hat sich allgemeine Lagersympathie erworben. Man schmunzelte: schlanker, zartrosa Erdbeerpudding übergossen mit goldgelbflockiger Weinschaumtunke." (6) Leider existiert davon kein Foto.

 

Leitung: H. Pietzcker (7)
Vor der Aufführung erschienen gleich zwei einführende Artikel in der „Baracke". Der erste beschäftigte sich mit dem geschichtlichen Hintergrund des Stückes und erläuterte die Handlung (8). Der zweite hatte die Musik zu „Egmont" von Ludwig van Beethoven zum Thema (9).
Die Aufführung selbst wird in der „Baracke" sehr positiv besprochen: „Aber die Kritik hat es hier gar leicht; sie darf sich nämlich diesmal, wenn überhaupt, all ihrer Bürde frei und ledig erklären. Die Gründe sind klar: jeder Erfahrene weiß, daß ein Meisterwerk, dessen Gestalten in mehr oder minder fest umrissenen Typen schon von unserem geistigen Auge stehen, eine überaus schwierige Aufgabe darstellt und unter unseren Verhältnissen stets nur in nicht vollkommener Weise wird dargeboten werden können. Er wird sich deshalb durch Mängel, die ihn wohl zum Bewußtsein kommen, Genuß und Anregung nicht nehmen lassen. Den anderen Teil des Publikums, die frischen, unverbildeten Gemüter darauf aufmerksam zu machen, erscheint unnötig, und der dritte und letzte Teil, der es als sein heiliges Vorrecht betrachtet lediglich und ausschließlich zu kritisieren, aber möglichst nicht aufzubauen, dem wollen wir beileibe nicht ins Handwerk pfuschen. So bleibt uns also nur die schöne Pflicht, der Leistung, die uns als Lohn langer Mühe und Arbeit unter der mit tiefem Verständnis in das Werk eindringenden Regie von Sees. Pietz[c]ker dargeboten wurde, unsere volle Anerkennung auszusprechen." (10)

 

Arbeit am Bühnenbild für „Egmont“ . Pörzgen, Hermann. Theater ohne Frau. Das Bühnenleben der kriegsgefangenen Deutschen 1914-1920. Königsberg: Ost-Europa-Verlag, 1933, Abb. 16

 
 

Szene aus „Egmont“. Pörzgen, Hermann. Theater ohne Frau. Das Bühnenleben der kriegsgefangenen Deutschen 1914-1920. Königsberg: Ost-Europa-Verlag, 1933, Abb. 17

 

Die Kostüme und Bühnenbilder werden besonders gelobt: „Glänzend gelungen war zunächst der äußere Rahmen, in dem die Handlung sich abspielte. Kostüme und Dekorationen, letztere von den bewährten Kräften der Sees. Blomberg und Lätsch und von Vz. Feldw. d. R. Rasenack gemalt, verbanden geschichtliche Treue mit feinem künstlerischem Geschmack. Besonders hervorheben dürfen wir den für unsere Bühnenarchitektonik etwas ganz Neues bedeutenden Torbogen, durch den sich die prügelnde Menge mit beeindruckender Echtheit hindurch wälzte, die freundlich-helle Festwiese mit dem Blick in die blaue Ferne und das Zimmer im Palast der Regentin mit dem prächtigen, echte Glasmalerei vortäuschenden gotischen Fenstern. Belebt nur durch die Gestalten der Regentin und Machiavells wirkte dieses Bühnenbild in all seiner Schlichtheit wohl historisch am überzeugendsten. ... Erstaunlich war auch mit welcher Geschwindigkeit der Umbau bei den vielen Szenenwechsel bewerkstelligt wurde, musste doch nicht weniger als dreizehn Mal das Bühnenbild neu aufgebaut werden." (11)
Drei der Bühnenbilder sind in der letzten Ausgabe der „Baracke" wiedergegeben u.a. auch der erwähnte Torbogen und das Zimmer der Regentin mit den gotischen Fenstern.

 
 
 
 
 

Zum Schluss der Rezension wird auch die musikalische Umrahmung des Stückes sehr gelobt: „Ganz besondere Anerkennung müssen wir schließlich noch der Musik zollen, deren Spiel zur Hebung der Gesamtwirkung ungemein viel beigetragen hat (Orchester der M.A.K. unter Leitung von Ob. Hob. Mt. Hansen), wobei wir auch nicht vergessen wollen, welch mühevolle Aufgabe es für unsere Musiker bedeutete, die ganzen gegen fünf Stunden dauernden Aufführungen hindurch in wenig bequemer Unterbringung und ohne die Möglichkeit dem Spiele folgen zu können, stets auf dem Posten zu sein." (12)
 
Die Spieldauer von fünf Stunden stellte nicht nur die Musiker, sondern auch das japanische Wachpersonal auf eine harte Probe. Wie dem T.T.B. zu entnehmen ist, erhob der Wachoffizier nach den ersten Abenden gegen den späten Schluss Einspruch, woraufhin der Beginn der weiteren Vorführungen auf 17.45 Uhr und damit auch die abendliche Musterung auf 16.45 Uhr vorverlegt wurde (13).

Leitung: H. Steen (14)
Zunächst waren nur drei Vorstellungen geplant, aber wegen großer Nachfrage wurden noch zwei Zusatzvorstellungen gegeben, was alleine schon für den Erfolg des Stückes spricht. Bei der zweiten Aufführung versagte jedoch die Beleuchtung und sie wurde am nächsten Tag wiederholt. Daraufhin verschoben sich die weiteren Aufführungstermine (15). Wohl im Rückblick auf die vielen Szenenwechsel bei „Egmont" schreibt der Rezensent, dass die „Kulissenschieber ... diesmal leichte Arbeit [hatten], da die Szene nicht gewechselt wird" (16). Das Bühnenbild, von dem auch ein Foto erhalten ist, wird in der Besprechung sehr gelobt. „Dafür hatte man sich aber augenscheinlich um so mehr Mühe gegeben, dieses eine Bild fein und geschmackvoll herauszuarbeiten. Eine hübsche Idee z.B. das zierliche grüne Rankenwerk, das nach oben abschloß." (17)

 
 

Auch die Kostüme, die im Lager von dem Gefangenen Kendzorra angefertigt worden waren, „gefielen sehr" (18). Insbesondere wird H. Michelmann erwähnt, der in seinem Kostüm in der Rolle der Wirtin „ganz reizend aussah" (19). Alle Darsteller hätten mit „viel Lust und Liebe gespielt" (20), wenn auch festgestellt wird: „Manchem ist es wohl auch nicht leicht geworden, sich an den ungewohnten Dialekt zu gewöhnen." (21). Gemeint ist der Berliner Dialekt, den vor allem von A. Kurzke, der Darsteller des Fabrikanten Giesecke, perfekt beherrschte. Er war „bei weitem der Glanzpunkt des Abends" (22), wie es heißt.

 
 

(1) Die Baracke Bd. 3, No. 18 (71), 2. Februar 1919, S. 407
(2) Die Baracke No. 15 (68) 12. Januar 1919, S. 325
(3) Die Baracke Bd. 3, No. 15 (68) 12. Januar 1919, S. 327-328
(4) Die Baracke Bd. 3, No. 15 (68) 12. Januar 1919, S. 328
(5) Die Baracke Bd. 3, No. 15 (68) 12. Januar 1919, S. 328-329
(6) Die Baracke Bd.3, No. 15 (68) 12. Januar 1919, S. 329
(7) Laut T.T.B. Bd. 6, 13. Februar 1919, S. 3 und T.T.B. Bd. 6, 14. Februar 1919, S. [4] fanden die Aufführungen am 17.,18., 20., und 21. Februar statt. Laut Die Baracke Bd. 3, No. 21 (74) 23. Febr. 1919, S. 462 und Die Baracke Bd. 3, No. 22 (75) 1. März 1919, S. 502 fanden die Aufführungen dagegen am 18., 19., 21. und 22. Februar statt.
(8) Die Baracke Bd. 3, No. 19 (72) 9. Februar 1919, S. 409-418
(9) Die Baracke Bd. 3, No. 19 (72) 9. Februar 1919, S. 418-422
(10) Die Baracke Bd. 3, No. 21 (74) 23. Februar 1919, S. 465-466
(11) Die Baracke Bd. 3, No. 21 (74) 23. Februar 1919, S. 466-467
(12) Die Baracke Bd. 3, No. 21 (74) 23. Februar 1919, S. 467
(13) T.T.B. Bd. 6, 19. Februar 1919, S. 6
(14) Die Baracke Bd. 4, April 1919, S. 156
(15) T.T.B. Bd. 6, 20. März 1919, S. 2 
(16) Die Baracke Bd. 3, No. 25 (78) 23. März 1919, S. 558
(17) Die Baracke Bd. 3, No. 25 (78) 23. März 1919, S. 558-559
(18) Die Baracke Bd. 3, No. 25 (78) 23. März 1919, S. 559
(19) Die Baracke Bd. 3, No. 25 (78) 23. März 1919, S. 559
(20) Die Baracke Bd. 3, No. 25 (78) 23. März 1919, S. 559
(21) Die Baracke Bd. 3, No. 25 (78) 23. März 1919, S. 559
(22) Die Baracke Bd. 3, No. 25 (78) 23. März 1919, S. 559