Rundgang durch das Lager Bandō
5. Baracken der Mannschaften mit Hauptstraße
| Aufbau
| Leben in den Baracken
| Leben um die Baracken
| Haustiere
| Verkäufer
| Heutige Spuren der Baracken
Es gab im Lager Bandō acht Baracken als Unterkünfte für die Mannschaften und zwei Offiziersbaracken. Die Baracken dienten als Wohn- und Schlafquartiere und auch die Mahlzeiten wurden hier ausgeteilt. Ein Gebäude war 72,90 m lang, 7,50 m breit und mit ca. 130 Mann belegt. Jeder Baracke stand ein Barackenältester vor. Die Bewohner waren in Korporalschaften zusammengefasst, deren Aufteilung man dem „Adressbuch für das Lager Bando 1917/8" (1) entnehmen kann. Mit Ausnahme von Baracke 1 waren alle Baracken gleich aufgebaut.
Innenansicht von Baracke 4. Foto aus Besitz des Deutschen Hauses Naruto, Negativ-Nr. 35-2-32
Einerseits richteten sich die Bewohner im Laufe der Zeit, so gut es eben ging, wohnlich in den Baracken ein. Vor den Fenstern wurden Lauben und Buden angebaut, um mehr Platz zu gewinnen und in der Lagerzeitung steht zu lesen: „Die Baracken sind schließlich zu richtigen 30 oder mehr – Familienhäusern geworden, mit heimischen Vorstadtgardinen, herzerquickenden Lampenschirmen und Vorgärten." (2)
Andererseits war das Leben in den Baracken aber gekennzeichnet von großer Enge und mangelnder Ruhe. Immer wieder stößt man in der Lagerzeitschrift „Die Baracke" auf Äußerungen, aus denen klar hervorgeht, wie sehr die Gefangenen es vermissten, nie für sich alleine sein zu können. Insbesondere Geistesarbeiter litten unter den erschwerten Bedingungen, wie z.B. die „Stoßseufzer eines Gehirnakrobaten" (3) zeigen. Der Schreiber des Artikels ist auf der Suche nach einem ruhigen Ort zum Arbeiten, wird aber ständig von seinen trinkenden, singenden, würfelnden, debattierenden oder Französisch lernenden Nachbarn gestört. Auch die folgenden Strophen aus dem Gedicht „Regentagsstimmung (Eine Erinnerung an den Oktober)" verdeutlichen, wie es in den Quartieren zuweilen zuging:
„Gleich nach dem Frühstück – das ist nicht erdichtet, Und dieser Brauch besteht viel Monde schon, Was ich nicht selbst erlebt, ist mir berichtet – Stellt in die Mitte man das Grammophon. Und bald ertönt es durch die ganze Halle: ‚Raus mit der Olschen in den Frühlingsduft’, ‚Im Liebesfalle, ja, da sind wir alle’, Und ‚Das macht die Berliner Luft, Luft, Luft!’
So geht es stundenlang ununterbrochen. Im Nebenraum spielen drei Mann Skat – Und hat zu Unrecht irgendwer gestochen, Wird auch alsbald gerügt die Missetat: ‚Du bist zu blöde, Mensch! Laß dich begraben! Du hast ja keene Ahnung von dem Spiel. Elf Augen futsch, die konnten wir noch haben; Nee, Aujust, was zu viel ist, ist zu viel.’
‚Dort wo der Rhein mit seinen grünen Wellen’ Fängt jemand nun auch noch zu singen an. Kaputo, Lorbass fangen an zu bellen Und werden mit ‚Geräusch’ hinaus getan. Dadurch ist der Gesang nur aufgeschoben, die Sänger treten mehr und mehr hervor. Jedoch vorher wird noch ‚Einer erst gehoben’, Dann singt man laut und deutlich und im Chor
Und nun kann niemand mehr beim besten Willen Verstehen nur sein eignes lautes Wort. Solange noch was da, den Durst zu stillen, Tönt Grammophon und Singsang eifrig fort. Es wird nur aufgehört, wenn man das Essen Erspähet hat mit schnellem, sich’ren Blick. Doch, großer Gott! Kaum hat man abgegessen, Klingt für das Grammophon die ‚Blechmusik’.
‚Didideldei’, so quietscht die Klarinette, der Schlägel auf die große Trommel schwirrt, Und es entsteht ein Lärm, der nur – ich wette – Durch Trommelfeuer übertroffen wird. Das ist zu viel; ich nehme meine Mütze, Geh’ in den Hof trotz Regen und trotz Wind Und wandre stundenlang durch manche Pfütze, Bis drinnen die total erledigt sind." (4) |
„Stillleben". Muttelsee, Willy. Karl Bähr. 4 1/2 Jahre hinter’m Stacheldraht. Skizzen-Sammlung. Bando: Kriegsgefangenenlager, [1919], o.S., im Besitz des Deutschen Hauses Naruto
Dass es auch jede Menge tierische Mitbewohner in den Baracken gab, versteht sich von selbst und damit sind nicht nur die im Gedicht erwähnten vierbeinigen Freunde gemeint. Obwohl immer wieder Reinigungsaktionen durchgeführt wurden, plagten Ratten, Flöhe, Wanzen und anderes Ungeziefer die Bewohner bei Tag und bei Nacht.
Vor dem Schlafen gehen. Muttelsee, Willy. Karl Bähr. 4 1/2 Jahre hinter’m Stacheldraht. Skizzen-Sammlung. Bando: Kriegsgefangenenlager, [1919], o.S., im Besitz des Deutschen Hauses Naruto
„Wintersport". Muttelsee, Willy. Karl Bähr. 4 1/2 Jahre hinter’m Stacheldraht. Skizzen-Sammlung. Bando: Kriegsgefangenenlager, [1919], o.S., im Besitz des Deutschen Hauses Naruto
Im Winter setzte die Kälte den Gefangen zu. Als einzige Heizungen dienten hibachi, kleine offene Feuerbecken. Auf den hibachi wurden auch manchmal Gerichte zubereitet oder gewärmt. Dies war zwar eigentlich von der Lagerleitung verboten, aber das sog. ‚schmirgeln’ war trotzdem bei den Gefangenen sehr beliebt, wie die nebenstehende Zeichnung zeigt.
In der Mitte des Barackenblocks lag die Hauptstraße, die sich bei Regen in eine Schlammwüste verwandelte. Hier schafften die Gefangenen Abhilfe durch den Bau von Dämmen als Gehwege, wie die folgende Beschreibung erzählt: „Während der Regenzeit war die Hauptstraße immer naß. Gleich nach Beendigung der Regenzeit haben die Bürger [die Lagerinsassen] diesen Damm errichtet ... Da es jetzt nicht regnet, geht natürlich niemand auf dem Damm. Um aber den Spaziergängern einen kleinen Vorgeschmack zu geben, wie es sich darauf gehen wird, sind noch kleine Querdämme angeordnet, und wer die Straße entlang gehen will, der muß über diese hinweg (am Tage) gehen oder (am Abend) fallen." (5)
Die mangelnde Ordentlichkeit vieler Lagerinsassen wird immer wieder in der „Baracke" thematisiert: Papier wird achtlos zum Fenster hinausgeworfen und man kann „…oft bemerken, daß Bürger [die Lagerinsassen] ihre Tabakspfeifen auf die Blumenbeete vor den Fenstern entleeren; andere schütten die Tee- und Kaffeereste auf die Straßenböschungen, anscheinend zu dem Zwecke, auf diese Weise Tabak, Tee und Kaffee zu ziehen. Es ist aber mehr als zweifelhaft, daß diese Versuche Erfolg haben werden." (6)
In den Lagerzeitschriften wird neben Katzen und Hunden auch ein Affe namens „Kuddel" erwähnt (7).
Beliebtestes Haustier im Lager war mit Abstand der Hund. Im Laufe der Zeit hielten derartig viele Lagerinsassen einen oder mehrere Hunde, so dass in der „Baracke" der Artikel „Hündchen, aus denen Hunde werden" erschien, in dem dazu aufgerufen wurde, nicht noch mehr kleine Hunde aufzunehmen (8). „Denn es werden Hunde aus ihnen. Große dicke Köter, borstige, gefräßige Tölen, die uns den Schlaf rauben werden, die uns mit Millionen von Flöhen beschenken werden und den Salat zerstampfen werden, die sich wütend untereinander bekämpfen werden und die – wieder Hunde zeugen werden – ungezählte Hunde." (9) Jedoch schließt der Verfasser damit, falls man doch nicht der Versuchung widerstehen könne, hätte er ein „Register von 500 Hundenamen" (10) und entschuldigt sich, den Artikel nun beenden zu müssen, denn „‚Morgenrot’ will an die Luft." (11) Das Hundeglück währte jedoch nicht allzu lange. Bis zum 17. April 1918 hatten alle Hunde im Lager zu verschwinden und nicht wenige scheinen im Kochtopf gelandet zu sein (12).
In den Baracken wurden auch Waren verkauft und Dienstleistungen angeboten. Der „Fremdenführer durch das Kriegsgefangenenlager Bando, Japan" (13) zählt allein innerhalb der Baracken (also ohne das Budenviertel Tapatau) dreizehn Bierverkäufer, acht Tabakwarenverkäufer, acht Wäschereien, sechs Barbiere, drei Tischler, zwei Schuster und zwei Schneider auf. Außerdem gab es noch einen Marmeladenverkäufer, einen Honigverkäufer, einen Uhrmacher, einen Masseur, einen Eierverkäufer, einen Verkäufer von Strumpfstrickwaren und einen von Seifen in den Baracken. Letzterer warb mit einem flotten Werbespruch um seine Kunden: „Wie aus dem [Ei] gepellt sehen sie aus, wenn Sie sich mit Fischer’s Seife waschen." (14).
In den Lagerzeitschriften finden sich zahlreiche Annoncen für die verschiedenen Produkte und Dienstleistungen:
Nachbau des Lagertors am Eingang zum Park Deutsches Dorf. Foto Ursula Flache
Der Bereich der Baracken 1-4 sowie die westliche Hälfte der Baracken 5-8 ist heute mit Häusern bebaut, aber an der Stelle der östlichen Hälfte der Baracken 5-8 befindet sich der „Park Deutsches Dorf" („Doitsu mura kōen"). Im Park deuten gemauerte Fundamente an, wo sich die Baracken ehemals befunden haben. Das östliche Viertel einer Baracke ist aus Stein nachgebaut und vermittelt einen Eindruck von der Beengtheit der Verhältnisse.
Das Fundament deutet an, wo sich die Baracke befunden hat. Foto Ursula Flache
Nachbau eines Teils einer Baracke im Park Deutsches Dorf. Foto Ursula Flache
2002 entdeckte man in verschiedenen Lagergebäuden rund um das ehemalige Lager Dachgestühle, die aufgrund ihrer Bauweise mit hoher Wahrscheinlichkeit aus den Baracken der Kriegsgefangenen stammen. Nach der Auflösung des Lagers wurde das Gelände zunächst von der japanischen Armee als Truppenübungsplatz benutzt und nach dem 2. Weltkrieg fanden japanische Flüchtlinge dort eine Unterkunft. In den 1960ern kaufte eine Baufirma am Ort die Baracken der Präfektur ab, und auf diesem Wege fanden die Dachgestühle wohl ihren Weg in Privathand, wo einige bis heute erhalten geblieben sind(15).
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