Ausstellung für Bildkunst und Handfertigkeit in Zitaten

Die japanischen Besucher unserer Ausstellung

 
 

Ein deutscher Lehrer hat vor einigen Jahren zwei dicke Bände herausgegeben nur mit den Titeln usw. der Bücher über Japan. Durchblättert man dieses Werk, so muß man staunen über die Zahl der Bücher, die über dieses Land geschrieben sind. Darunter ist viel Schund, der nicht wert ist gelesen zu werden: Bücher von Weltenbummlern, die nur wenige Wochen hier waren, oder von Verfassern, die nur aus anderen Büchern abgeschrieben haben. Lächerlich aber schwer auszurottende Märchen über Japan sind durch diese Bücher verbreitet worden. Aber auch in den Büchern der größten Kenner findet man Punkte, über die sie sich nicht einig sind. Dies liegt aber nicht an der Rätselhaftigkeit des Landes oder seiner Bewohner; es liegt nur daran, daß über gewisse Dinge jeder Mensch nur aus eigensten Gefühlen heraus urteilen kann. Dies aber schadet nichts, denn nach Anhörung der verschiedenen ehrlich gemeinten Gedanken wird jeder Leser selbst nachprüfend, sich eine eigene Meinung schaffen können.
Auch wir wollen uns deshalb nicht wundern, wenn wir von den verschiedenen Dolmetschern verschiedene Ansichten über die japanischen Besucher unserer Ausstellung hören. Ich zum Beispiel teile nicht die Ansicht, daß all die Lobpreisungen nichts anderes waren als ‚japanische Höflichkeit’.
Gewiß, die alten Frauen, die schon am Eingange ihr ‚yokudekite i masu! arigato! arigato!’ wiederholten, muß man nicht ernst nehmen. Aber was will man denn Großes erwarten? Die armen Weiber, die hier zwischen ihren Reisfeldern und Seidenraupen alt geworden sind, die nie in eine andere Stadt als das wenig entwickelte Tokushima gesehen haben, für sie waren die ausgestellten Sachen wirklich von blendender Schönheit. Wenn solche Frauen oder die dazu gehörigen Männer bis zu den Kronleuchtern kamen, wussten sie nicht, was das war: kein Wunder, denn in europäischen Häusern mit Kronleuchtern sind sie noch nie gewesen. Auch die Fleischgerichte, Rechenschieber und manche Bilder mussten für solche Japaner unverständlich sein.

 
 

Wir müssen, wenn – was Gott verhüten möge – wir nächstes Jahr noch hier sind, an derartigen Gegenständen noch mehr japanische Erklärungen anbringen. Aber kurze, klare, mit deutschem Wortlaute und nicht solche wie die Erklärung, die in den ersten Tagen am Kuchenhause war oder wie die an den hölzernen Bierseideln. Diese hatte ein gebildeter Japaner so schön geschrieben, daß kein Ungebildeter sie verstand. Im Regierungsbezirk Tokushima aber muß man mit einer ländlichen Bevölkerung rechnen. In Matsuyama hätten wir schon weiter fortgeschrittene Besucher gehabt, im verwöhnten Tokyo aber hätten wir gewisse Sachen wohl besser überhaupt nicht ausgestellt. Diese Ecke Shikokus ist eben etwas zurückgeblieben, in den japanischen Zeitungen liest man oft Betrachtungen über diese Tatsache.
Aber trotzdem bin ich der Überzeugung, daß wir mit unserer Ausstellung eine Tat getan haben, die von dauerndem nicht geringem Nutzen für alles Deutsche sein wird. Der Fleiß der Gefangenen hat Eindruck gemacht. Ich habe viele Japaner unter sich sprechen hören über die Schönheit der Sachen, die die Gefangenen unter so widrigen Umständen und mit so unzureichenden Mitteln geschaffen hätten. Was hat denn dem Japaner in der Ausstellung am besten gefallen? Worüber hat am meisten in den Zeitungen gestanden? Ohne Zweifel waren das die einfachen Gegenstände, die aus sonst nutzlosen Sachen wie Staniolpapier, Flaschenverschlüsse, Zigarettenpapier gemacht waren. Die Deutschen sind aber ein wirtschaftlich denkendes Volk, konnte man häufig hören. Ich habe auch unsere Besucher sprechen hören über die Lebenswahrheit der ausgestopften Vögel, über die Schönheit der gemalten Sammetsachen und über den Flächendruck, den unsere Druckerei mit ihrem einfachen Verfahren erzielt.
Andererseits sind auch an mich viele Fragen gerichtet, bei denen es schwer war, das Lachen zu verbeißen. Aber manche Fragen wurden auch gestellt, die zeigten, daß unsere Besucher nicht nur dem Bauernstande angehörten. In der Schiffsabteilung wollte ich mal einem der dortigen Dolmetscher zu Hilfe kommen, der mit einem Fragesteller nicht recht fertig zu werden schien. Ich habe mich aber schnell gedrückt, als ich noch rechtzeitig hörte, daß der Japaner etwas wissen wollte über die Anwendungsart gewisser Takelageteile. Auch vor den Patentankern wurden an mich recht unbequeme Fragen gestellt, doch kam mir im entscheidenden Augenblicke ein daneben stehender Japaner zu Hilfe, der dem Fragesteller sehr genau Auskunft gab. Wie die einzelnen Figuren auf dem Schachbrett ziehen und wann der König matt ist, begriff jeder Japaner, dem ich es erklärte. Von den Bildern erregte besonderes Interesse: das Gemälde von Tsingtau, die Zukunftsstadt und das Bild von Hindenburg. Daß die Bauern aus Bando, die ihr eigenes Gehöft erkannten, oder die Schulkinder, die in der Schule ähnliche Sachen zeichnen müssen, von den japanischen Landschaften gefesselt waren, ist verständlich.

 

Andere Fragen, deren ich mich erinnere, betrafen die Konservierungsmittel der ausgestopften Vögel und der Schmetterlinge, die Kosten des Baus eines Hauses ähnlich dem ausgestellten Modelle und das Verfahren unserer Holzeinlegearbeiten. Es zeigte sich, daß die Fragesteller oft selbst so gut Bescheid wussten, daß man mit seiner Antwort sehr vorsichtig sein mußte. Jemand fragte mich übrigens vor dem Bilde in der dunklen Nordnische des Saales, wie sich unser Stahlhelm bewährt hätte. Neben diesem Bilde hing das hübsche Bild eines Abschied nehmenden Kriegers. Uns erscheint es seltsam, daß über dieses Bild fast alle Japaner lachten. Aber für den Japaner ist unser Kuß nichts als eine unpassende Zurschaustellung sinnlicher Liebe. Er selbst ist kein Verächter dieser Liebe, aber er schätzt sie nur unter vier Augen. Wenn der Japaner in den Krieg zieht, macht sie eine Verbeugung, und er nickt kaum mit dem Kopfe, und doch lieben beide sich vielleicht nicht weniger als das deutsche Paar.
So war den Japanern in unserer Ausstellung vieles fremdartig. Sie wurden, um die ungeheure Anzahl in den engen Räumen zu bewältigen, förmlich durchgehetzt, ohne alles gesehen zu haben. Aber doch glaube ich, daß das Wort ‚deutsch’ heute in ihren Ohren anders klingt als vorher. Die Ausstellung hat nicht nur uns selbst Abwechslung und Anregung geboten, sie hat viel mehr geleistet. Ich glaube, wir haben hier im Kriege und in Feindesland manchen Zweck erreicht, den man sonst für sein Land nur durch kostspielige Beschickung ausländischer Ausstellungen anstrebt.
K.M. [vermutlich Kurt Meissner, einer der Dolmetscher auf der Ausstellung]

 
 
 

Volltext aus: Die Baracke Bd. 2, No. 1 (27), 31. März 1918, S.8-12