Austausch zwischen Deutschen und Japanern

Musik

 
 

Die Musik spielte eine große Rolle im Leben der Kriegsgefangenen und war gleichzeitig eine Brücke zur japanischen Bevölkerung. Es existierten im Lager mehrere Orchester und zwei Chöre, die zahlreiche Konzerte und Kammermusikabende vor allem für die Lagerinsassen veranstalteten. Vereinzelt gab es auch Konzerte für ein japanisches Publikum. Für die Aktiven waren die Mitgliedschaft in einem Orchester oder Chor ein Weg der Langeweile zu entfliehen und für die Zuhörer boten die Konzerte eine Unterbrechung im Lageralltag. Zu den Konzerten wurden sehr hübsch gestaltete Programmhefte gedruckt.

 

Paul Engel mit seinen Musikschülern. Foto aus Besitz des Deutschen Hauses Naruto, Negativ-Nr. 71-17

Der Gefangene Paul Engel, Leiter des gleichnamigen Engel-Orchesters, hatte großen Anteil daran westliche Musik in Bandō und Umgebung bekannt zu machen. Engel, seines Zeichens Violinist, gab nicht nur im Budenviertel Tapautau im Lager Musikunterricht (1), sondern hatte auch japanische Musikschüler. Deren Unterricht fand zweimal die Woche zunächst in der Nähe des Lagers beim Tempel Ryōzenji und später in Tokushima statt. Der Musik liebende Lagerleiter, Oberst Matsue, gewährte den dafür nötigen Ausgang ohne Probleme. Da weder Schüler noch Lehrer die Sprache des anderen beherrschten, verständigten sich beide Seiten mit Hilfe ihrer bescheidenen Englischkenntnisse. Manchmal soll Oberst Matsue Paul Engel auch zum Unterricht begleitet und beim Dolmetschen geholfen haben (2).

 

Im März 1919 nahm das Engel-Orchester außerdem an einem „Japanisch-Europäischen Konzert" in Tokushima teil (3). Auf Fotos dieses Konzertes sind japanische Koto-Spielerinnen und das Kriegsgefangenen-Orchester in einem mit Zuhörern überfüllten Saal zu sehen.

 
 
 
 

Im Oktober 1919 gaben die Gefangenen auf Einladung der „Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege" (4) ein weiteres Gastspiel mit Musik, Tanz und Theater in Tokushima. Zunächst waren nur für drei Tage Aufführungen geplant. Wegen des großen Andrangs japanischer Besucher wurde jedoch noch um einen Tag verlängert (5). Im T.T.B. findet sich die deutsche Übersetzung eines japanischen Zeitungsartikels aus dem Tokushima-Anzeiger vom 6. Oktober 1919, der den Verlauf der öffentlichen Hauptprobe zu dieser Veranstaltung schildert (6). Zu dieser Hauptprobe waren rund 500 geladene japanische Gäste erschienen (7), die sich in Baracke 1 drängten. „An den Fenstern standen die Gefangenen, welche die fremdartigen Japaner anstaunten, und auch die Neugierde der Besucher war groß." (8). Das gebotene Programm war sehr abwechslungsreich und umfasste außer Musik-, Tanz- und Theaterdarbietungen auch Sportwettkämpfe und Turnen. Der Schreiber des Artikels urteilt sehr positiv über die Aufführung. Von der Ouvertüre heißt es, dass „eine aus einigen 10 Mann bestehende Kapelle wunderhübsche Melodien [spielte, die] ... einen in ein fremdes Land schweben" (9) ließen. Auch die zwei komödiantischen Szenen, die gespielt wurden, werden sehr gelobt. Über den dargebotenen „Schuhplattler" schreibt der Autor, der Tanz sei „wie unsere [japanischen] Bon-Tänze. Eine einfache bäuerliche Melodie begleitet ihn." (10) Der Artikelschreiber schließt mit den Worten: „In den Zwischenakten spielte die Musik, und während so aus den Herzen vieler hundert Menschen sich in die Herzen der anderen Menschen ein Sehnsuchtsgefühl übertrug, rückte die Herbstnacht bis zur elften Stunde vor, und die versammelten Menschen gingen auseinander." (11)

Am berühmtesten ist jedoch das 2. Sinfonie-Konzert eines der Lagerorchester, nämlich des Tokushima Orchesters, vom 1. Juni 1918. Bei diesem Konzert wurde Beethovens „Sinfonie Nr. 9" zum ersten Mal in Japan komplett zur Aufführung gebracht (12). In Erinnerung daran wird seit 1982 jedes Jahr am 1. Wochenende im Juni Beethovens „Neunte" im Kulturzentrum von Naruto aufgeführt. Die Stadt Naruto, zu der Bandō heute gehört, ist stolz darauf, der Ort der Erstaufführung der „Neunten" in Japan zu sein, zumal das Stück heute eines der beliebtesten Musikwerke in Japan ist. Das ganze Jahr über und insbesondere gegen Jahresende finden heutzutage zahlreiche Aufführungen statt. 1998, als sich die Erstaufführung zum 80. Mal jährte, wurde die „Sinfonie Nr. 9" sogar in einer 1918 vergleichbaren Besetzung, d.h. nur mit Männerstimmen, aufgeführt (13). Auch im Deutschen Haus Naruto, das Museum, welches sich heute an der Stelle des Lagers Bandō befindet, steht die Aufführung von Beethovens „Neunter" im Mittelpunkt der Ausstellung.

 

(1) Fremdenführer durch das Kriegsgefangenenlager Bando, Japan. 1918, S. 30
(2) Hayashi, Keisuke. Charles Burdick. Ursula Moessner. Bandō Doitsujin furyo monogatari. Tōkyō: Kaimeisha, 1982, S.158-162
(3) „Doko ni iyō to, soko ga doitsu da" – „Hie gut Deutschland alleweg!". Bandō furyo shūyōjo nyūmon. Naruto-shi doitsukan shiryō kenkyūkai (Hg.). Naruto-shi, 2000, S. 61
(4) T.T.B. Bd. 8, 5. Oktober 1919, No. 164, S. 5
(5) „Doko ni iyō to, soko ga doitsu da" – „Hie gut Deutschland alleweg!". Bandō furyo shūyōjo nyūmon. Naruto-shi doitsukan shiryō kenkyūkai (Hg.). Naruto-shi, 2000, S. 60-61
(6) T.T.B. Bd. 8, 5. Oktober 1919, No. 164, S. 5-6
(7) Laut: Die Baracke Bd. 4, September 1919, S. 117: „300 Japaner"
(8) T.T.B. Bd. 8, 5. Oktober 1919, No. 164, S. 5
(9) T.T.B. Bd. 8, 5. Oktober 1919, No. 164, S. 5
(10) T.T.B. Bd. 8, 5. Oktober 1919, No. 164, S. 6
(11) T.T.B. Bd. 8, 5. Oktober 1919, No. 164, S. 6
(12) Die Baracke Bd. 2, No. 16 (42), 14. Juli 1918, S. 439
(13) „Doko ni iyō to, soko ga doitsu da" – „Hie gut Deutschland alleweg!". Bandō furyo shūyōjo nyūmon. Naruto-shi doitsukan shiryō kenkyūkai (Hg.). Naruto-shi, 2000, S. 43